Der Wolf an der Brust:


 

Die Geschichte des Hundes ist die Geschichte eines Findelkindes: Eine Frau, eine junge Mutter, gab vor 15.000 Jahren einem winzigen, pelzigen Wesen die Brust. Dieses Wolfsjunge wurde der erste Hund. Er war ein Spross der Emotion, nicht der Vernunft. Und er war ein reines Luxuswesen. Auch heute lässt uns mehr das Herz denn der Verstand auf den Hund kommen.

 

Europa gegen Ende der Altsteinzeit. Es ist bitterkalt in den Weiten der Tundra, die große Teile des Kontinents überzieht. Das Feuer wärmt die Menschen. Und es lockt die Wölfe an. Glühende Augenpaare umkreisen in finsterer Nacht die Lager, auf der Suche nach den verwesenden Resten erlegter Tiere.

In diese unwirtliche Zeit hinein fällt die Geburtsstunde unseres Hundes: eine junge Frau findet hinter einem Stein, vielleicht auch unter einem Busch ein winziges, pelziges. noch blindes und zahnloses Wesen. Das niedliche Ding mit seinem runden Kopf, das noch dazu gut riecht, erregt ihr Mitleid. Und die Frau gibt dem Findelkind das, was es zum Überleben braucht: Muttermilch. Der kleine Wolf wächst mit den Menschenkindern auf, sucht sich seinen Platz im Rudel und wird zum Hauswolf, zum Urvater des Hundes.

So kann's doch nicht gewesen sein, oder? Für uns ist der Hund ein Wesen, das der Mann schuf. Ein rauer Mann, mächtig und stolz, der sich einen Wolf fing und zur Arbeit abrichtete. Jagen sollte er, oder seinen Besitzer verteidigen.

Mit diesem Bild räumt Erik Zimen, Wolfsforscher aus dem Bayrischen Wald, auf. Seine Theorie in Kurzform: Der Hund ist das Haustier mit der engsten sozialen Beziehung zum Menschen. Ein Wolf lässt sich aber nur sozialisieren, wenn man ihn im Alter von höchstens zwei Wochen der Mutter wegnimmt. In diesem Alter braucht der Welpe Milch. Vor 15.000 Jahren verfügte jedoch kein Mann über Milch, Rinder, Ziegen und Schafe gab es als Haustiere noch nicht. Es existierte nur eine Milchquelle: die der Frau. Anfangs wurden Hunde, so Ziemen, nur aus reinem Luxus gehalten. Erst später mussten sie sich ihr Futter auch verdienen. Der erste Hund war also ein Spross der Emotion, nicht der Vernunft. Und er diente ausschließlich zur Erbauung.

Wie wenig sich in den vielen Jahrtausenden geändert hat. Auch heute lässt dich das Herzu, nicht der Verstand auf den Hund kommen.

Da wehrst du neun Jahre lang alle Bemühungen deines Jüngsten ab, so einen Vierbeiner ins Haus zu holen. Es gibt nur Probleme, sagst du ihm: Mit unfreundlichen Zeitgenossen, die Hunde und deren Besitzer anfeinden. Mit Behörden, die dich bestrafen, wenn du deinen Freund von der Leine lässt. Bei der Urlaubsplanung, bei Restaurantbesuchen und so weiter, und so fort. Dazu büschelweise Haare auf Teppichen und Möbeln, Dreck in den Fluren, zerkratzte Türen und Holzböden, angenagte Schuhe und, und, und...

Der Junior aber lässt nicht locker. Eines schönen Tages stehst du nun doch beim Züchter, nachdem du in Dutzenden Büchern sowie auf ungezählten Internetseiten nach dem richtigen Hund gesucht hast. Und du wählst dir mit deinen Lieben einen kleinen Kerl aus: Den da, der sich so frech gegen seine Geschwister durchgesetzt, der mit der etwas kürzeren Schnauze, den klugen Augen und den grünen Band um den Hals. Dann schleckt er dir auch noch über die Nase. Aus ist es mit dir, und geschehen.

Stundenlang, bis an die Schmerzgrenze der übrigen Familienmitglieder, diskutierst du über den Namen: "Ringo", nein vielleicht doch "Elvis", oder, oder "Romeo", warum nicht "Woodstock", ahhh "Elwood". Jetzt, nach einer geheimen Abstimmung heißt er "Jambo". Das bedeutet "Willkommen" auf Kisuaheli und passt zu einem rabenschwarzen Hund.

Schließlich kommt er ins Haus: Du tröstest ihn über den Trennungsschmerz hinweg, stehst vier Mal die Nacht auf, setzt ihn bei strömendem Regen in den Garten, bist ständig hinter ihm her, um ihn vom Zernagen der teuren Couch abzuhalten. Und er beschenkt dich mit einer unbändigen Lebenslust. Mit der sprichwörtlichen Treue. Und mit einer schon fast unheimlichen Gelehrigkeit.

"Nein, jetzt können wir es uns gar nicht mehr ohne Hund vorstellen". Das sagst du dir ständig vor, das erklärst du bei zufälligen Begegnungen mit anderen Hundebesitzern. Die das nur bestätigen, die dich in lange Gespräche verwickeln oder gar spontan zu sich nach Hause einladen. Zerstreut sind alle Bedenken, die Probleme gibt es nicht mehr. Welche Probleme?

Und du liebst dienen neuen Hausgenossen so sehr, dass du dir nach einem Spaziergang beim Säubern der Pfoten übers Gesicht schlecken lässt, obwohl über diese Zunge alles hundeinwärts marschierte, was an Ekeligem an Wegesrand aufzustöbern war. Du verzeihst ihm, dass die Wohnung immer aussieht, als hätten die Vandalen gewütet, weil der Inhalt der Altpapier-Schachtel in winzigen Stückchen über die Teppiche verteilt ist. Du freust dich, wenn er uns selbst bei stürmischstem Wetter ins Freie treibt.

Und du streichelst ihn auch noch, wenn er sein zum feuchten Lappen zerkautes Schweineohr Sonntag morgens ins Bett legt. "Guter Hund, äähhhhhhh."

"Ein Leben ohne Hund ist ein Irrtum", wusste schon Carl Zuckmayr. Und viele, viele berühmte Menschen sind in ihrem Leben auf den Hund gekommen. Otto von Bismarck etwa hoffte, seinen Hund im Himmel wieder zu treffen. Und Heinz Rühmann meinte, man könne ohne Hund leben. Nur lohne es sich nicht. Friedrich der Große konstatierte den Hunden, alle guten Eigenschaften des Menschen zu besitzen, ohne gleichzeitig ihre Fehler. George Bernhard Shaw stellte sich die Frage, ob es um die Welt besser stünde, wenn die Menschen Maulkörbe trügen und die Hunde Gesetze bekämen. am weitesten gingen die Anhänger der von Zarathustra gestifteten Religion, des Parsismus: "Durch den Verstand des Hundes besteht die Welt", ist in der Awesta, der Heiligen Schrift der Parsen zu lesen.

Ob als Blinden - oder Parnterhund für Behinderte, ob als Polizei- oder Zollhund, ob als Lawinen- oder Trümmerhund, ob als Wach-, Hüte- oder Jagdhund. Ob als Trüffel- oder Schlittenhund. Unser vierbeiniger Wegbegleiter steht in vielen, vielen Bereichen seinen Mann. Zuverlässig und uneigennützig. Bestimmt an die 400 verschiedenen Rassen gibt es, vom kleinsten, dem Chihuahua, bis zum größten dem Irischen Wolfshund. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind der beste Freund des Menschen.

Dieses Prädikat ist durch ein Gerichtsurteil abgesichert. Es war im Jahr 1870 im amerikanischen Bundesstaat Missouri. "Old Drumm", ein Jagdhund und ständiger Begleiter des Farmers Charles Burden, verirrte sich auf das Grundstück des Nachbarn. Der, ein ein Schwager Burdens, erschoss den Hund. Burden zog vor Gericht, sein Anwalt George Graham West beeindruckte die Richter mit seinem Plädoyer so sehr, dass sie den Schützen zu 25 Dollar Geldstrafe verurteilten. Kernsatz der aufwühlenden Rede: "Der einzig wahre, selbstlose und beste Freund, den ein Mensch haben kann in dieser selbstsüchtigen Welt, ist sein Hund."

Entnommen aus den Salzburger Nachrichten vom 24. 12. 2002 - Autor: Norbert Lublasser

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